Reportagen aus dem Randgebiet – Über Alexander Krützfeldts »Acht Häftlinge«

R

»Knast heilt niemanden.«Hans Eppendorfer stellte dies 1981 in seinem Buch »Barmbeker Kuß« ernüchternd fest. Seine »Szenen aus dem Knast« reflektierten Eppendorfers eigene Erfahrungen. Als 17-Jähriger ermordete er eine ältere Frau und musste dafür eine zehnjährige Jugendstrafe in Hamburg verbüßen. Sein fiktional-biographisches Buch blickt auf diese Zeit zurück und zeigt den Strafvollzug in den 1970er Jahren. Straftäter, so seine Bilanz, würden im Gefängnis weiter deformiert statt resozialisiert. Gut vierzig Jahre später schaut der Journalist und Autor Alexander Krützfeldt in seinem Buch »Acht Häftlinge. Leben in einer Parallelwelt« erneut auf und in den deutschen Strafvollzug. Er begibt sich in diese »Parallelwelt«, spricht mit acht Strafgefangenen und versucht auszuloten, ob und welche Alternativen es überhaupt zum Strafvollzug gibt.

In seinen acht Reportagen aus unterschiedlichen deutschen Gefängnissen kommen acht Männer zu Wort.  Einzelne Schicksale, die schlaglichtartig Momentaufnahmen aus dem Alltag im Strafvollzug liefern. Da ist Karl, bei dem Kinderpornos auf dem Computer gefunden wurden.  Deshalb muss er sechs Monate in der JVA absitzen. Eine überschaubare Zeit, doch schnell wird klar: Es gibt eine Rangordnung in Gefängnissen und in der sind Pädophile – im Knastdeutsch »Kinderficker« – das Unterste. Gefolgt von Verrätern und Mördern, die schwächere Opfer getötet haben. Dabei funktioniert der Klatsch hinter Gittern gut: Die Vollzugsbeamten warnen Karl davor, etwas über seine Haftgründe zu erzählen. Dennoch bekommen seine Mithäftlinge schnell raus, weshalb er da ist. Mit der Konsequenz, dass er auf die Krankenstation verlegt wird, weil er dort vermeintlich besser vor anderen Häftlingen geschützt ist. Sechs Monate können sehr lang sein. 

Da ist Emil, Sohn von Russlanddeutschen, der auf die schiefe Bahn geriet, als er ins Drogengeschäft einstieg. Es folgte ein Leben im Luxus, bis das SEK vor seiner Tür stand. Emils Geschichte berichtet von der großen, russischen Familie, die sich ihren eigenen Mythos in den deutschen Gefängnissen geschaffen hat. Bis andere Familien-Clans aus arabischen Ländern, Vietnamesen und Rocker-Banden ihren Einfluß im Gefängnis ausweiteten. Aber niemand ist so stark wie die russischen Clans, die »Diebe im Gesetz«, denn sie halten zusammen. Sie sind ein Familie, Konflikte werden von den Bossen untereinander geregelt. Offene Gewalt untereinander wird vermieden. Die Araber hingegen – so heißt es – seien viel mehr zerstritten.

Zwischen Distanz und Empathie

Krützfeldt verknüpft die einzelnen Biographien seiner Interviewpartner mit spezifischen Problemen, die sich im heutigen Strafvollzug auftun. Wie etwa dem Umgang mit Drogensüchtigen. Er zeigt auf, dass es immer noch einen blühenden Drogenhandel in Gefängnissen gibt und versucht herauszufinden, wie Haschisch, Kokain oder Crystal Meth da überhaupt hinein gelangen können. Er beschreibt die oft desolate Gesundheitsversorgung, zum Beispiel die Furcht des Häftlings Thomas, der bereits einen Herzinfarkt erlitten hat. Er weiß, wenn er wieder in eine gesundheitliche Notlage kommt, muss er möglicherweise lange  – zu lange – auf Hilfe warten. Erschreckend die Schilderungen des Gefangenen Mark, der vor seiner Haft übertriebenen Muskelaufbau mit Testosteron und andern Mitteln betrieben hat. In der JVA stehen ihm diese nicht zu Verfügung. Es folgte ein qualvoller, kalten Entzug.

Substituierung von Abhängigen ist eigentlich vorgeschrieben – doch nicht in jeder Haftanstalt wird dies auch gemacht. Hier, wie in anderen Bereichen, zeigt sich, dass die Lebenssituationen in deutschen Gefängnissen sehr variieren. Grund: Seit 2006 ist der Strafvollzug Ländersache. Das führt dazu, dass die Gefängnisse unterschiedlich ausgestattet und geführt werden. So gelten bayrische Vollzugsanstalten, etwa im Gegensatz zu vielen norddeutschen Gefängnissen, als rigide.

Lektürenotizen zu »Acht Häftlinge« von Alexander Krützfeldt
Lektürenotizen zu »Acht Häftlinge« von Alexander Krützfeldt


Die versammelten Reportagen geben einen nüchternen Einblick in den Gefängnisalltag. Dabei meistert Alexander Krützfeldt gekonnt den Spagat zwischen Empathie und journalistischer Distanz. Seine Protagonisten bekommen Raum für ihre Geschichten, zugleich stützt oder kontrastiert Krützfeldt diese Aussagen mit vielen Fakten und Aussagen von Therapeuten, Ärzten oder Gefängnisdirektoren. Sein lakonischer Stil zeigt die Straftäter als Menschen mit schwierigen Biographien, ohne dabei ihre Schuld zu relativieren oder ihre Taten zu verharmlosen. Alle Männer bleiben anonym, um sie zu schützen und sie vor boulevardeskem Voyeurismus zu bewahren.

Zugleich bleibt der Autor vorsichtig – denn Kriminelle können oft auch sehr gut lügen. Dies zeigt sich unter anderem in seiner letzten Reportage, die einen Mann in der Sicherheitsverwahrung vorstellt. Steffen ist im »Todeshaus« untergebracht, dort, wo die richtig schweren Fälle sind. Für sie gibt es kaum Hoffnung,  jemals wieder in Freiheit leben zu können. Sexualstraftäter wie Steffen, der immer wieder rückfällig wurde. Jemanden wie ihn kann man tatsächlich oft nur noch weg sperren. Krützfeldt verdeutlicht die Fallstricke, mit denen die dort arbeitenden Therapeuten zu tun haben.  Wie schwer es sein kann, für diese Täter eine richtige Prognosen zu erstellen. Denn man kann eben niemanden in den Kopf gucken.

»Acht Häftlinge« ist ein gelungenes Stück Journalismus. Die Geschichten von Menschen, die nicht gesehen werden, treffen auf einen sprachgewandten Autoren. Krützfeldt gelingen in kurzen Sätzen eindringliche Bilder für die Not, die Hoffnungslosigkeit und die Angst, die in Gefängnissen alltäglich sind und die nachvollziehbar werden. Hier ist ein ausgezeichneter und sachkundiger Journalist am Werk, der da hinschaut, wo viele ihren Blick abwenden. Ein Journalist, der zudem ein trefflicher Erzähler und Dramaturg ist. Der genau weiß, wie er seine Reportagen aufbaut, um ihre Spannungsbögen zu halten.  Das Ergebnis sind lesenswerte Reportagen über ein Randgebiet der deutschen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die sich fragen lassen muss, wie sie mit Straftätern umgeht und umgehen will. Denn ihre Mechanismen, Regeln und Rangordnungen spiegeln sich auch hinter Mauern und Gitterfenstern wider. Öfter, als es ihr lieb sein kann. 

Für November 2018 ist übrigens ein neues Buch von Alexander Krützfeldt angekündigt. »Letzte Wünsche: Was Sterbende hoffen, vermissen, bereuen – und was uns das über das Leben verrät« soll es heißen und ich bin schon jetzt sehr gespannt darauf.

Bibliographische Angaben

Gelesen habe ich folgende Ausgabe:
Alexander Krützfeldt: Acht Häftlinge. Leben in einer Prallelwelt. – Mit einem Vorwort von Heribert Prantl. – Reinbek bei Hamburg : Rowohlt Verlag, 2018
Rowohlt Rotation
E-Book
ISBN 978-3-644-40529-5
Die Beiträge des Buches sind zuerst als Gemeinschaftsproduktion der Süddeutschen Zeitung, des Bayerischen Rundfunks und von Correctiv veröffentlicht worden. 

Weiterführende Links

Über den Nachtbibliothekar

Karl Ludger Menke

human since 1966 | librarian since 1992 | dj since 1994 | online editor since 1999 | blogger since 2005 | head of a public library since 2022 | t.b.c.

Kommentieren