Der Hamburger Buchhändler und Antiquar Jürgen Wohlers ist gestorben. Erinnerungen an einen ganz besonderen Büchermenschen.
»Möge Jürgen Wohlers heiter im Himmel mit den Buchstaben klingen.« So steht es auf einem herzförmigen Papier, angehangen an eine Sonnenblume. Nachricht und Blume sind momentan im Schaufenster der Buchhandlung Dr. Robert Wohlers auf der Langen Reihe ausgestellt und bestätigen, was seit dem vergangenen Wochenende wohl traurige Gewissheit ist: Jürgen Wohlers ist tot.

Es fühlt sich so unwirklich an, habe ich mit ihm noch vor drei Wochen in seinem kleinen Buchladen gesprochen. Damals drückte er mir eine Leseprobe aus dem Verlag Matthes & Seitz in die Hand. Ein kleines Taschenbuch, das Auszüge aus der kommenden Veröffentlichung »Z Ypsilon X« von Peter Waterhouse enthält. Er freute sich auf das Buch, die Leseprobe sei vielversprechend – wenn man sie denn einfach kreuz und quer lese, so wie er das bei seiner halbstündigen S-Bahn-Fahrt von und nach Blankenese, wo er lebte, gemacht habe. Ein stiller und bescheidener, zugleich auch ein wilder Vielleser. Selbstverständlich werde ich das Buch kaufen, nur wird Herr Wohlers dann nicht mehr im Laden sein.
»Die Albatross Connection« und andere Leseempfehlungen
Seine Leseempfehlungen habe ich nie ausgeschlagen, durch ihn habe ich Autoren wie Witold Gombrowicz, Georges Perec und Wassili Grossmann kennenlernen dürfen. An eine Empfehlung erinnere ich mich besonders: Im Frühjahr 2022 unterhielten wir uns bei einem unserer längeren Gespräche über die Verlagswelt und ihre nicht immer glücklichen Veränderungen. »Kennen Sie »Die Albatross Connection«? Oder die Geschichte des Albatross-Verlages?« fragte er mich. Ich verneinte und kurz darauf trug ich das entsprechende Buch von Michele K. Troy nach Hause. Darin wird die hochspannende Geschichte des Hamburger Albatross-Verlages nachzeichnet, wie die drei Herausgeber die Zensur während des Dritten Reiches austricksten und dabei das Taschenbuch populär machten.
Verlagsprofile – darin war er ein Experte. Er wusste genau, welche Verlage welche Themen veröffentlichten, wie gut sie das tun und er berichtete auch immer wieder mit Freude von den Besuchen der Verlagsvertreter. Er wusste die Verlegerpersönlichkeiten einzuschätzen und hatte vermutlich alles gelesen, was sie selbst veröffentlicht hatten – von Michael Krüger über Vito von Eichborn bis hin zu Daniel Kampa.
Das unsere Gespräche oft über Stunden gingen, verwundert mich nicht. Immer, wenn ein anderer Kunde das Geschäft betrat, bediente er ihn freundlich und hilfsbereit, während ich in dieser kleinen, und doch schier unendlichen Wunderkammer nach mir unbekannten Büchern suchte. Waren wir erneut allein, nahmen wir das Gespräch wieder auf und philosophierten über Einbände, Typographie, Übersetzungen und Papierqualität. Jürgen Wohlers war durch und durch ein Büchermensch. Liebenswert, bescheiden, immer wieder auch herzlich lachend und dabei klar und respektvoll in seinen Einschätzungen. Wenn ein Buch ihm nicht gefiel, merkt ich das und doch fällte er kein dogmatisches Urteil. Schließlich ist er selbst, wie er mir einmal erzählte, auch mit Micky-Maus-Heften aufgewachsen. Ihm war es immer wichtig, dass Menschen Bücher lesen – gedruckte Bücher. Über die Mode der Farbschnitte haben wir dann beide leise geschmunzelt.

Jürgen Wohlers war vor allem aber auch ein Antiquar mit Leib und Seele. Er führte das Geschäft in dritter Generation auf der Langen Reihe und bis vor gut drei Jahren betrieb er neben dem aktuellen Sortimentsbuchhandel ein umfangreiches Antiquariat. So hatte er es von seinem Vater gelernt, den er immer wieder in den Gesprächen erwähnte. Doch der Handel mit alten Büchern ist ein hartes und oft nicht mehr lukratives Geschäft, weshalb er es dann wohl aufgab. Auch wenn er nie geklagt hat – ich glaube, diese Entscheidung muss ihn sehr geschmerzt haben. Einige wenige Restbestände antiquarischer Bücher finden sich immer noch in den Regalen – gleich neben den Bücherwänden, die mit den Bänden der »Anderen Bibliothek« gefüllt sind. Ich vermute, es gibt keine andere Buchhandlung in Hamburg, die so viele Ausgaben dieser bibliophilen Reihe, seinerzeit begründet durch Franz Greno, im Angebot hat. Echte Bücherliebe eben.
Ach, lieber Herr Wohlers – Sie werden mir so fehlen! Ich bin Ihnen dankbar für all die Stunden, für unsere lebhaften Gespräche, für die wunderbaren Bücher, die sie mir empfohlen und verkauft haben. Ich weiß, dass Sie es mit ihrem Buchladen nicht immer leicht hatten. So zum Beispiel 2012, als Sie Ihr Geschäft fast aufgeben mussten, weil ein Immobilienbesitzer auf einmal horrende Miete verlangte und sie schließlich von der Langen Reihe 68/70 in die Lange Reihe 38 ziehen mussten. Damals bekamen Sie zum Glück große Unterstützung aus dem Stadtteil und Ihre Buchhandlung konnte – wenn auch auf kleinerem Raum – weiter öffnen. Natürlich wünsche ich mir sehr, dass es Ihr Geschäft weiterhin gibt. Aber ohne Sie wird die Landschaft der Hamburger Buchhandlungen, wird der Stadtteil Sankt Georg, wird die Lange Reihe sehr viel ärmer.
Machen Sie es gut, lieber Herr Wohlers. Und falls Sie Frau Parnass da irgendwo treffen, grüßen Sie sie herzlich von mir.
Mit traurigen Grüßen
Ihr
Ludger Menke

Danke für diesen wunderbaren Nachruf!
Danke!
Nein, ich habe mich nicht stundenlang mit Jürgen Wohlers unterhalten, immer nur mal ein paar Sätze. Vor 25 Jahren etwa das erste Mal und seit Aufgabe des Antiquariats und Umzug in die neuen Räumlichkeiten auch eher selten. Aber vermissen werde ich den guten Mann ebenfalls: immer freundlich, ruhig, angenehm. Rauchend vor der Tür seines Ladens verdient er die Bezeichnung “Original” im besten Sinne: Die Lange Reihe ohne Jürgen Wohlers ist ein ganzes Stück ärmer. Vor drei Jahren schon gab Harald Michael “Eschi” Eschenburg sein Buchantiquariat in der Holtenauer Straße in Kiel auf, auch wenn er noch lebt. Es ist ebenso effizient wie irgendwie trostlos, zunehmend seine Gebrauchtbücher nur am Rechner zu ordern – und immer seltener auf Menschen wie Jürgen Wohlers und “Eschi” zu treffen.
Danke Dir für Deine Erinnerung.
Die Entwicklung von Antiquariaten ist in der Tat trostlos. Und Jürgen Wohlers war ein leidenschaftlicher Antiquar.
Danke D i r für Deinen Nachruf auf dieser Seite. Wenn es erlaubt ist, verweise ich auf einen in punkto Antiquariats-Geschichte wertvollen Beitrag, den “Jay” vor drei Jahren in seinem Blog zu “Eschi” geschrieben hat.
https://loomings-jay.blogspot.com/2022/06/eschi.html
Vielleicht kennt ja der eine oder die andere den guten alten, nun eben seit drei Jahren geschlossenen Laden an der Holtenauer, auch wenn er ziemlich exakt 100 km nördlich von Wohlers liegt. Mein beeindruckendster, wenn auch nicht monetär wertvollster Fund waren dort die “echten” Rowohlts Rotationsromane”, gedruckt in der Nachkriegszeit auf Zeitungspapier in 100.000er-Auflage.
Auch wir sind sehr traurig , Herr Wohlers war ein super netter Mensch , er wird uns fehlen , Maren und Jörg Hamer.