»All the lonely people
The Beatles: Eleanor Rigby (1966)
Where do they all come from?
All the lonely people
Where do they all belong?«
»Sad, Mad and Bad« – Traurig, verrückt und böse – das sind Assoziationen, die manche Menschen mit dem Alleinsein verbinden. Jemand, der alleine lebt, sei sicher traurig, er ist möglicherweise ein wenig seltsam, wenn nicht gar verrückt, und vermutlich ist er auch noch ein schlechter Mensch, dessen Gesellschaft niemand sucht. Das Alleinsein hat einen schlechten Ruf, obwohl es mittlerweile immer mehr Einpersonenhaushalte in Deutschland gibt. Wer als Single lebt, dem wird nahezu täglich vorgeführt, wie „schlecht“ und „unglücklich“ doch sein Leben sein muss: Ob in Werbung, TV oder Kino – überall wird das Rollenmodel der glücklichen Zweisamkeit oder das der lächelnden Familie vorgelebt. Dating-Plattformen leben gut von dieser Sehnsucht, der angeblichen Leere des Alleinseins und versprechen den oder die Partner/in mit wenigen Klicks. Immerhin: 61,9 % der Singles geben an, mit ihrem Leben zufrieden zu sein, bei den Paaren sind es 90,3 %.
Wie kommt es also, dass jemand gerne alleine lebt? Und wie schafft man es überhaupt, alleine und glücklich zu sein? Die englische Autorin Sara Maitland hat darüber ein schmales Ratgeberbuch geschrieben, in dem sie dem Phänomen des Alleinseins nachspürt, einen kurzen, kulturhistorischen Abriss des Alleinseins liefert, Tipps für den Rückzug gibt und schließlich die Freuden des Alleinseins herausarbeitet. Maitland weiß, worüber sie schreibt: Nach einer gescheiterten Ehe lebt sie seit über zwanzig Jahren allein, seit 2007 in einem selbstgebauten und abgeschiedenen Haus im schottischen Hochmoor. Die nächsten Nachbarn sind kilometerweit entfernt, es gibt eine schmale Straße, auf der sehr wenig Verkehr herrscht.
Von Jungfern und Einsiedlern lernen
Ein Grund, warum sie dieses abgeschiedene Leben im nördlichen Galloway gesucht hat, war ihre Faszination für die Stille. 2008 veröffentlichte sie ihr Buch »A Book of Silence« (in deutscher Übersetzung 2017 unter dem Titel »Das Buch der Stille: Über die Freuden und Macht der Stille« erschienen), welches sie selbst als ein Hybrid aus Kulturgeschichte und persönlichen Erinnerungen beschreibt. Stille und Alleinsein gehören eng zusammen, wobei es die vollkommene Stille kaum gibt. Selbst wenn man alleine durch die Natur streift, kann es laut sein: das Knacken im Unterholz, der auffrischende Wind, die kreischenden Vögel. Nicht nur in der Natur, so Maitland, könne man allein sein. Wir sind im Alltag, auch als Großstadtmensch, oft allein: Wenn wir mit dem Auto fahren, wenn wir duschen und selbst wenn wir neben jemandem schlafen, sind wir doch im Schlaf alleine. Woher also diese negative Konnotation, wenn vom Alleinsein die Rede ist? Sind Menschen nicht soziale Wesen, die die Gemeinschaft zum Überleben brauchen? Sind wir für eine gesunde Psyche nicht auf den Austausch mit anderen angewiesen? Und sind Menschen, die alleine leben, nicht Egoisten, die vor der Realität flüchten?
Maitland liefert zu diesen negativen Bildern Gegenentwürfe. Der englische Begriff „Spinster“ ist so ein Gegenentwurf. Spinster bedeutet übersetzt „Jungfer“ und schnell ist das Bild von der „alten Jungfer“ vor Augen, die nie einen Mann abbekommen hat und ihr Dasein alleine fristet. Dabei waren die Spinsters im Mittelalter angesehene Frauen, die sich durch ihre Kunstfertigkeit im Spinnen eine finanzielle Unabhängigkeit schufen, was zu diesen Zeiten, in den Frauen für ihre Existenz fast immer auf einen wohlwollenden Ehemann angewiesen waren, eine Ausnahme war.
Ein anderer Gegenentwurf ist das des Einsiedlers, wie etwa dem Begründer des Mönchstum, Antonius der Große, der über zwanzig Jahre alleine in der ägyptischen Wüste lebte oder der buddhistischen Nonne Jetsunma Tenzin Palmo, die zwölf Jahre in einer Höhle im Himalaya lebte und später, durch ihre Erfahrung der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Buddhismus, ein Nonnenkloster gründete. Klar: Einsiedler sind Ausnahmeerscheinungen, ein solch extremer Rückzug wird nur wenigen gelingen und nicht jeder würde ihn unbeschadet überleben. Für Maitland ist es entscheidend, dass wir uns der Angst, die mit dem Alleinsein behaftet ist, stellen. Denn jeder, so Maitland, braucht gewisse Rückzugsphasen, je nach Charakter mehr oder weniger. Wer aber in seinem Alltag nie das Gefühl hat, alleine zu sein und sich dabei gut zu fühlen, der vermeidet womöglich diese Phasen aus Furcht. Es ist jene Angst, die viel schädlicher für uns ist, als das Alleinsein selbst.
Die Freuden des Alleinseins und die Qualen der Einsamkeit
Um diese Angst zu überwinden stellt Maitland verschiedene Methoden vor, um das Alleinsein zu üben. Von Tätigkeiten, die uns alleine Spaß machen, wie etwa dem Lesen, über die Hingabe an Tagträume oder Spaziergänge in der Natur bis hin zu dem Erlernen von Dingen, die uns am Herzen liegen, reicht dabei die Spanne. Manches davon ist recht leicht umzusetzen, anderes, wie etwa eine Abenteuerreise ist schon gewagter. Hier spricht sie sich dafür aus, behutsam anzufangen und vor allem die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu respektieren. Wichtig ist es, sich der Angst zu stellen, sofern jemand ungern alleine ist. Denn die positiven Auswirkungen des Alleinseins sind nicht zu unterschätzen.
Laut Maitland gibt es fünf Freuden des Alleinseins: Es ist das Bewusstseins des Selbst, der Einklang mit der Natur, die Beziehung zum Transzendentalen, die Kreativität und – die Freiheit. All dies belegt sie mit anschaulichen und gut nachvollziehbaren Beispielen und gibt, im letzten Teil ihres Buches, auch weitere Literaturtipps. »How to Be Alone« ist ein gut lesbares Ratgeberbuch, das fundiert und reflektierend eine Hilfestellung gibt für Menschen, die sich mit dem Thema Alleinsein auseinander setzen möchten. Sie liefert einen kurzen, kulturhistorischen Abriss, zeigt auf, wo diese Furcht vor dem Alleinsein ihre Wurzeln hat, und bietet praktische Tipps, das Alleinsein zu erlernen.
Was aus meiner Sicht ein wenig zu kurz kommt, ist die Auseinandersetzung und Differenzierung zwischen Alleinsein und Einsamkeit – „solitude“ und „loneliness“. Das bewusst gewählte Alleinsein ist etwas völlig anderes, als das negative Gefühl der Einsamkeit, unter dem Menschen leiden können, weil sie von ihrem Partner verlassen wurden, weil er gar gestorben ist, weil sich Familie oder Freunde abwenden oder weil sie Schwierigkeiten haben, überhaupt soziale Kontakte aufzubauen. Es ist kein Buch gegen Leiden der Einsamkeit. Wer ein starkes Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit spürt, der wird den Freuden des Alleinseins wohl eher skeptisch begegnen. Zum Alleinsein braucht es Selbstbewusstsein – wobei das Alleinsein genau das auch stärken kann. Leider ist es oft dieses Selbstbewusstsein, das einsamen Menschen fehlt. Therapeutische Hilfe ist hier vermutlich eher angebracht.
Bibliographische Angaben
Sara Maitland: How to Be Alone. – London : Macmillan, 2014
(The School of Life)
ISBN 978-0-230-76808-6
Eine deutsche Übersetzung des Buches ist mir nicht bekannt.
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