Opfer oder Täter?

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Über den Roman »Das Haus in dem Gudelia stirbt« von Thomas Knüwer

Karge Worte für eine Naturkatastrophe und menschliche Dramen – so könnte eine Verkürzung des Romans  »Das Haus in dem Gudelia stirbt« lauten. Apokalyptische Heimsuchungen gibt es einige in dieser Geschichte, die Autor Thomas Knüwer auf drei Zeitebenen spielen lässt. Ausgangspunkt ist das Jahr 2024, als eine Flutkatastrophe den kleinen, fiktiven Ort Unterlingen überschwemmt und so auch das titelgebende Haus bedroht, in dem Gudelia nicht nur stirbt, sondern in dem sie vor allem fast ihr ganzes Leben gewohnt hat. Sie will auf keinen Fall evakuiert werden und setzt alles daran, in dem von dreckigen Wasser umspülten Haus zu bleiben. Der Grund für ihre Halsstarrigkeit liegt 40 Jahre zurück und lässt sich erst nach und nach erahnen. 

Vor vierzig Jahren, 1984, starb ihr Sohn Nico. Der Junge kehrte nach einem Dorffest nicht nach Hause zurück. Es ist Gudelia, die ihren Sohn nachts im Straßengraben findet. Ein Unfall, so sagt die Polizei zunächst. Doch dann wird deutlich, dass es einen Streit auf dem Dorffest gegeben hat und an einem Arm der Leiche findet sich in schwarzen Buchstaben der Schriftzug »SCHWUCHTEL«. Wieso starb Nico, wurde er ermordet und wenn ja, wer hat das getan? Diese Fragen lassen der gläubigen Gudelia keine Ruhe. Heinz, ihr Ehemann, verdrängt hingegen. Der Tod des eigenen Kindes erschüttert die eh schon brüchige Ehe der beiden. 

1998 schließlich – die dritte Zeitebene – ist es soweit. Gudelia verlässt ihren Mann. Vielmehr schiebt sie ihren schwer alkoholkranken Mann in eine Entziehungsklinik ab, während sie das bislang gemeinsame Haus auf sich überschreiben lässt. Sie ist fortan die alleinige  Besitzerin des Gebäudes, das sie nicht mehr verlassen kann und will – selbst nicht bei einer Flut, die die Bewohner von Unterlingen 26 Jahre später aus ihren Häusern treibt. Nur Gudelia bleibt und kämpft verzweifelt darum, dass ihr Haus nicht einstürzt. Ein immer größer werdender Riss in einer Mauer lässt sie verzweifeln. Denn dieser Riss geht nicht nur durch ihr Haus, er geht durch ihr Leben.

Konzentriert und kurzweilig 

In einem strengen Takt lässt Thomas Knüwer Gudelia ihre Lebensgeschichte erzählen. Die Zeitebenen wechseln sich immer gleich ab: 2024 – 1984 – 1998 und dann wieder von vorne. Zudem ist Gudelia eine eher wortkarge Person, die Dialoge beschränken sich auf das Wesentliche. Verknappung – so beschreibt es Knüwer selbst, der in der Werbebranche arbeitet und es gewohnt ist, mit möglichst wenigen, dafür aber treffenden Worten eine Message rüber zu bringen. Ein Roman bietet nun eigentlich mehr Platz, doch auch hier bleibt Knüwer der Verknappung treu. Bei einer Lesung sagte er, dass er gerne aus dem Manuskript kürzt und die Überarbeitung eines ersten Entwurfs gerne macht. Für einen Schriftsteller eine eher ungewöhnliche und um so sympathischere Aussage. 

Dörfliches Leben, die Trauer um den ermordeten Sohn, der alkoholsüchtige Ehemann und letztlich die eigene Schuld, die Gudelia umtreibt, all das fängt Thomas Knüwer mit einem kompakten, konzentrierten Stil ein, was für ein Debüt bemerkenswert ist. Hier sitzt alles: Jedes Wort, jeder dramaturgische Kniff, jeder Cliffhanger. Ob es ein Krimi ist? In Anbetracht dessen, dass Krimis oft die Täter in den Mittelpunkt stellen, habe ich da so meine Zweifel. Wobei Gudelia womöglich beides ist – Opfer und Täter. Ob dem so ist, möge bitte jeder selbst herausfinden und entscheiden. Deshalb eine große und unbedingte Leseempfehlung für diesen kurzweiligen Roman. 

Bibliographische Angaben:

Gelesen habe ich folgende Ausgabe: 

Thomas Knüwer: Das Haus in dem Gudelia stirbt. – Bielefeld : Pendragon, 2024. – 290 S. – 20,- Euro
ISBN 978-3-86532-882-3

Der Roman »Das Haus in dem Gudelia stirbt« belegte Platz 1 beim Deutschen Krimipreis 2024 und ist zudem in der Kategorie »Roman« für den Glauser-Krimipreis 2025 nominiert. 
Anmerkung: Im Titel fehlt nach deutscher Rechtschreibung ein Komma. 

Buchcover: Das Haus in dem Gudelia stirbt von Thomas Knüwer
Thomas Knüwer: Das Haus in dem Gudelia stirbt

Schönes Lesen noch!

Über den Nachtbibliothekar

Karl Ludger Menke

human since 1966 | librarian since 1992 | dj since 1994 | online editor since 1999 | blogger since 2005 | head of a public library since 2022 | t.b.c.

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